Die europäische Automobilindustrie steht an einem kritischen Wendepunkt. Neben technologischem Wandel und globalem Wettbewerbsdruck prägen zunehmend politische, regulatorische und gesellschaftliche Einflussfaktoren – sogenannte Non-Market-Dynamiken – die Transformation. Dazu zählen unter anderem CO₂-Grenzwerte, Förderprogramme, Zölle sowie sich wandelnde Erwartungen an Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Insbesondere die mangelnde Planbarkeit staatlicher Eingriffe – etwa bei der E-Auto-Förderung oder der Regulierungsdynamik in China und den USA – erzeugt erhebliche Unsicherheit. Strategische Planung wird durch „Moving Targets“ erschwert, da Unternehmen langfristige Entscheidungen unter instabilen Rahmenbedingungen treffen müssen.
Kurzimpuls
Die deutsche Automobilindustrie steht unter massivem Druck durch dynamische Non-Market-Faktoren wie politische Regulierungen, Subventionspolitik und geopolitische Spannungen, die strategische Planbarkeit erschweren. Eine erfolgreiche Transformation erfordert von Unternehmen eine hohe Absorptionsfähigkeit, um externe Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und in unternehmerisches Handeln zu überführen. Gleichzeitig ist eine beidhändige Strategie (Ambidextrie) notwendig, die kurzfristige Effizienzgewinne mit langfristiger Innovationsorientierung verbindet. Aufgrund instabiler politischer Rahmenbedingungen wird es für Hersteller und Zulieferer immer wichtiger, das regulatorische Umfeld aktiv mitzugestalten – ein Ansatz, der unter dem Konzept des Future Making gefasst wird. Entscheidend für den Erfolg dieser Konzepte sind das richtige Timing und eine hohe Flexibilität, um angesichts sich wandelnder Anforderungen strategisch handlungsfähig zu bleiben.
Non-Market-Faktoren als strategische Herausforderung
Non-Market-Faktoren wirken nicht nur ergänzend zum Marktumfeld, sondern stellen einen eigenständigen, mitunter dominanten Steuerungsrahmen dar. Unternehmen sehen sich mit inkonsistenten politischen Signalen konfrontiert, während gleichzeitig gesellschaftliche Anforderungen z.B. an die ökologische Verantwortung steigen. Die strategische Relevanz dieser externen Dynamiken erfordert neue unternehmerische Antworten, die über klassische Marktlogik hinausgehen.
Ambidextrie: Effizienz und Innovation im Gleichgewicht halten
Die Fähigkeit zur Ambidextrie – dem gleichzeitigen Umgang mit Effizienz im Kerngeschäft (Exploitation) und der Erschließung neuer Innovationsfelder (Exploration) – wird zur Schlüsselkompetenz. Hersteller und Zulieferer müssen z.B. das bestehende Geschäft mit Verbrennungstechnologie stützen, während sie parallel in Elektromobilität, Softwareentwicklung und neue Mobilitätsformen investieren.
Die Fähigkeit zur Ambidextrie – dem gleichzeitigen Umgang mit Effizienz im Kerngeschäft (Exploitation) und der Erschließung neuer Innovationsfelder (Exploration) – wird zur Schlüsselkompetenz.
In der Praxis bedeutet das: operative Exzellenz sichern und zugleich radikale Innovation ermöglichen – oft in organisatorisch getrennten Einheiten, gesteuert durch das Top-Management. Besonders mittlere und kleinere Zulieferbetriebe geraten hier unter Druck, da sie über weniger organisatorische und finanzielle Ressourcen verfügen, um beide strategischen Stoßrichtungen gleichzeitig zu verfolgen.
Absorptionsfähigkeit und das richtige Timing
Absorptive Capacity, also die Fähigkeit, relevantes externes Wissen frühzeitig zu erkennen, aufzunehmen und umzusetzen, ist entscheidend für die strategische Handlungsfähigkeit im Non-Market-Umfeld. Unternehmen müssen nicht nur technologische Trends antizipieren, sondern auch politische Prozesse, regulatorische Entwicklungen und gesellschaftliche Stimmungen systematisch beobachten und einordnen können. Dabei spielt das richtige Timing eine zentrale Rolle: Reagieren Unternehmen zu spät, drohen technologische Rückstände – agieren sie zu früh, riskieren sie Fehlallokationen. Die aktuelle Unsicherheit rund um Nachfrageentwicklungen bei E-Autos oder automatisiertem Fahren zeigt, wie entscheidend eine flexible, gut getimte Strategie ist.
Future Making: Zukunft aktiv mitgestalten
Über reaktive Anpassung hinaus geht ein aktives Future Making: Unternehmen gestalten hierbei politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit. Dazu zählen politische Interessenvertretung, Engagement in Verbänden oder internationale Allianzen mit Wettbewerbern oder Akteuren angrenzender Branchen. Ziel ist es, stabile und planbare Rahmenbedingungen zu schaffen, die strategische Entscheidungen erleichtern und die Gefahr disruptiver politischer Kurswechsel verringern. Je besser es gelingt, das Non-Market-Umfeld mitzugestalten, desto wirksamer lassen sich Ambidextrie und Absorptionsfähigkeit realisieren.
Fazit: Strategische Resilienz und Zukunftsfähigkeit durch Integration von Theorie und Praxis
Es ist davon auszugehen, dass die Automobilindustrie auch in Zukunft mit einem dynamischen Non-Market-Umfeld konfrontiert sein wird. Gerade in der aktuellen Transformation der Automobilbranche ist deshalb eine explizite Perspektive auf diese Non-Market-Dynamiken erforderlich.

Konzepte der Organisations- und Managementforschung, wie das der flexiblen Beidhändigkeit, können dabei helfen, die Herausforderungen der Transformation besser zu verstehen und damit eher zu bewältigen. Umgekehrt können Konzepte wie das Future Making nicht nur die aktive Beeinflussung politischer Rahmenbedingungen, sondern insgesamt das Denken in neuen Geschäftsmodellen befördern.
Zur Langfassung
Non-Market-Dynamiken als Einflussfaktor für die Transformation von Automobil- und Zulieferunternehmen und mögliche Antworten der Managementforschung
Aufsatz | 16 Seiten
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