Die EU hat im Mai 2024 ihre neue Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) verabschiedet, die Unternehmen dazu verpflichtet, Umwelt- und Sozialstandards entlang ihrer Lieferketten zu dokumentieren und entsprechende Sorgfaltspflichten einzuhalten. Genau wie die bestehende deutsche Regelung zur Lieferkettensorgfaltspflicht (LkSG) zielt diese darauf ab, nachhaltigere Geschäftspraktiken zu fördern, indem sie nichtfinanzielle Kriterien bei der Auswahl von Geschäftspartnern in den Vordergrund rückt. Aktuelle Befragungen des GBP zeigen jedoch, dass finanzielle Kriterien wie Preis, Produkteigenschaften sowie Zahlungs- und Lieferungsmodalitäten weiterhin dominieren. Nichtfinanzielle Aspekte spielen in Lieferketten bislang eine untergeordnete Rolle. Auch die Einführung neuer ESG-Berichtspflichten hat nur begrenzten Einfluss auf die Gewichtung nachhaltiger Aspekte. Diese Berichtspflichten werden nämlich von einer Mehrheit der Unternehmen in Deutschland als zu komplex und bürokratisch befunden.
Aktuelle Trends im Überblick
Als langfristiges Befragungspanel analysiert das German Business Panel (GBP) die betriebswirtschaftlichen Einschätzungen und Erwartungen von Unternehmen in Deutschland.
Die betriebswirtschaftlichen Indikatoren entwickeln sich im zweiten Quartal 2024 negativ. Die erwartete Gewinnveränderung sinkt relativ zum ersten Quartal 2024 um -1,60 Prozentpunkte. Die prognostizierten Gewinne liegen damit erneut auf Schrumpfungskurs. Gleichzeitig bleibt das aktuelle Marktumfeld angespannt: Die durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit steigt im Vergleich zum ersten Quartal 2024 um +0,64 Prozentpunkte. Zuletzt sinkt auch die Zufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik im zweiten Quartal 2024 um -0,05 Punkte. Die Einschätzung liegt damit deutlich unterhalb von drei Punkten auf einer Skala von null (sehr unzufrieden) bis zehn (sehr zufrieden).
Zur Förderung von Umwelt- und Sozialstandards hat die EU – nach kontroverser Diskussion – im Mai 2024 ihre Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) erlassen. Diese verpflichtet Unternehmen, die Einhaltung dieser Standards entlang ihrer Lieferketten zu dokumentieren und ESG-Risiken entlang der Wertschöpfungskette zu reduzieren. Nach ihrer schrittweisen Einführung betrifft die CSDDD ab 2029 Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über 450 Mio. EUR.
Die CSDDD erweitert indes das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das bereits seit Anfang 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden gilt. Zu den zusätzlichen Vorgaben der europäischen Regelung zählen umfassendere umweltbezogene Pflichten und die Auflage, einen Klimaplan zu erstellen, der die Einhaltung von Emissionszielen sicherstellt. Die CSDDD geht somit über die Anforderungen des LkSG hinaus und betont einmal mehr die soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette.
Gegenüber finanziellen Kriterien sind Nachhaltigkeitsfaktoren in Lieferketten aktuell klar untergeordnet
Die CSDDD und das LkSG sollen die Umwelt- und Sozialstandards in Lieferketten verbessern. Durch die eingeführten Dokumentationspflichten soll auf alle an den Lieferketten beteiligten Unternehmen Druck ausgeübt werden, zur Einhaltung von Nachhaltigkeitszielen beizutragen – in der Hoffnung, dass andernfalls auch bestehende Geschäftsbeziehungen abgebrochen werden könnten. Um diese Ziele zu erreichen, ist es notwendig, dass Unternehmen bei der Auswahl ihrer Geschäftspartner auch nichtfinanzielle Kriterien berücksichtigen.
Die Befragungsergebnisse des GBP zeigen jedoch, dass nichtfinanzielle Kriterien bei der Wahl von Geschäftspartnern aktuell nur eine geringe Rolle spielen.
Die Befragungsergebnisse des GBP zeigen jedoch, dass nichtfinanzielle Kriterien bei der Wahl von Geschäftspartnern aktuell nur eine geringe Rolle spielen. Auf einer Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 7 (sehr wichtig) werden diese Aspekte nur mit 2,8 für die Auswahl von Unternehmenskunden und 3,1 für Lieferanten bewertet. Unternehmensentscheider in Deutschland legen vor allem Wert auf Preis, Produkteigenschaften sowie Zahlungs- und Lieferbedingungen. Auch die Dauer der bestehenden Geschäftsbeziehungen und traditionelle Kennzahlen wie Liquidität und Unternehmensgewinn sind relativ zu ESG-Kriterien von größerer Bedeutung, da sie Indikatoren für pünktliche Zahlungen und Lieferungen darstellen.
ESG-Berichtspflichten erhöhen die Relevanz nichtfinanzieller Kriterien in Lieferketten nur wenig
Derzeit berücksichtigen Unternehmen solche nichtfinanzielle Kriterien entlang ihrer Wertschöpfungsketten also nur selten. Externe Berichtspflichten haben mithin nur geringen Einfluss auf diesen Befund. Die Verpflichtung zur Offenlegung der ESG-Performance gemäß den europäischen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) erhöht die Relevanz nichtfinanzieller Kennzahlen nur geringfügig. Unternehmen, die den ESRS-Standards unterliegen, bewerten die Relevanz nichtfinanzieller Kennzahlen im Durchschnitt mit 3,14 auf einer Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 7 (sehr wichtig), während Unternehmen ohne diese Berichtspflichten diese Aspekte mit 2,91 bewerten.
Bei Unternehmen, die freiwillig über Nachhaltigkeit berichten, steigt die Relevanz auf 3,29. Wird zusätzlich unterschieden, ob Unternehmen diese Kennzahlen zur internen Unternehmenssteuerung nutzen, erreicht die Bewertung 3,55. Erst wenn nichtfinanzielle Aspekte also integraler Bestandteil der internen Unternehmenssteuerung sind, werden solche Kriterien immerhin etwas stärker in Lieferketten berücksichtigt.
Selbst wenn Unternehmen ESG-Kriterien in Lieferketten stark berücksichtigen, sehen sie die ESRS mehrheitlich negativ
Dass reine externe Berichtspflichten wenig zu einer stärkeren Berücksichtigung von nichtfinanziellen Aspekten in Lieferketten beitragen, könnte daran liegen, dass die Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) von Unternehmen in Deutschland überwiegend negativ beurteilt werden. Selbst bei Unternehmen, die nichtfinanzielle Kennzahlen in ihren Lieferketten stark berücksichtigen („Unternehmen mit ESG-Fokus“), überwiegt der Anteil negativer Bewertungen (39,2 %) den der positiven (32,9 %). Bei Unternehmen ohne ESG-Fokus in Lieferketten ist dieses Bild noch deutlicher: 56 % sehen die ESRS negativ oder sehr negativ, während nur 18,7 % eine positive Bewertung abgeben.
Die ESRS werden mehrheitlich als zu komplex und bürokratisch wahrgenommen
Die Befragung des GBP liefert neben der allgemeinen Bewertung der ESRS auch Einblicke in die Hürden, die Unternehmensentscheider bei der Erstanwendung der ESRS sehen. Unternehmen, die die ESRS noch nicht umgesetzt haben, beurteilen die Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung mehrheitlich als zu komplex und bürokratisch (59 %). 52,2 % dieser Unternehmen kritisieren den hohen Berichtsaufwand. Zudem fehlen 22 % der ESRS-Nichtanwender die notwendigen Daten und 16,5 % die Expertise zur Umsetzung. Interessanterweise ist der Anteil derjenigen, die Hürden bei der Umsetzung der ESRS wahrnehmen, bei Unternehmen, die bereits nach den ESRS berichten, noch höher. Fast drei Viertel (74,6 %) der ESRS-Anwender ohne ESG-Fokus empfinden die ESRS als zu komplex, verglichen mit 66,7 % der Anwender mit ESG-Fokus, die auch besonders oft fehlende Expertise zur Umsetzung beklagen (48,1 %). Gerade die aktive Auseinandersetzung mit den ESRS scheint deren Komplexität also noch einmal hervorzuheben.
Bei Betrachtung der Einzelstandards der Nachhaltigkeitsberichterstattung, die für Unternehmen in Deutschland besonders relevant sind, zeigt sich, dass insbesondere die einleitenden Standards zum Klimawandel (E1), zur eigenen Belegschaft (S1) und zur Unternehmenspolitik (G1) von Bedeutung sind. Den Einzelstandard zu Arbeitskräften in der Wertschöpfungskette stufen grundsätzlich nur ein Drittel der Unternehmen als relevant ein. Nur wenn Unternehmen einen ESG-Fokus in der Lieferkette haben, sehen immerhin 53,8 % der Unternehmen Offenlegung nach den ESRS hierzu auch als wesentlich an.
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