Wie bilden Investoren Erwartungen in unterschiedlichen Marktphasen und wie beeinflussen Unterschiede in der Art und Weise wie Erwartungen gebildet werden die Investitionsentscheidungen am Finanzmarkt? In diesem Beitrag liefern wir direkte experimentelle Belege dafür, wie systematische Verzerrungen in den Erwartungen der Anleger:innen ihre Investitionen über Marktzyklen hinweg beeinflussen. Als Mechanismus identifizieren wir eine Asymmetrie darin, wie Investor:innen ihre Erwartungen über Boom-Marktphasen und Rezessions-Marktphasen hinweg bilden. Der dokumentierte Mechanismus ist mit Daten zu Erwartungen aus Umfragen konsistent und liefert wichtige Implikationen für kürzlich vorgeschlagene Modelle zur Preisbildung von Wertpapieren.
Kurzimpuls
Aus der empirischen Finanzmarktforschung ist bekannt, dass Aktienmarktteilnehmer:innen in Marktaufschwung-Phasen (Booms) signifikant mehr investieren als in Marktabschwung-Phasen (Rezessionen). Anhand von Experimenten zeigen Kieren, Müller-Dethard und Weber, dass dies auf eine systematische Unterschiede in der Erwartungsbildung zwischen den Boom- und Rezessionsphasen zurückzuführen ist: Teilnehmer:innen, die in einer rezessionsähnlichen Umgebung mit überwiegend negativen Informationen konfrontiert wurden, entwickelten systematisch pessimistischere Erwartungen. Im Experiment führte die asymmetrische Erwartungsbildung zu unterschiedlichen Investitionsentscheidungen, ohne dass sich die jeweilige Risikoneigung verändert hätte. Übertragen auf den realen Finanzmarkt heißt das, dass über die Manipulation der Erwartungshaltung ein zusätzlich negativer Druck auf Preise ausgeübt werden kann, was wiederum Rezessionen in ihrer Stärke und Dauer beeinflussen könnte.
Risikopräferenzen, Erwartungen und Investitionsentscheidungen
Um erfolgreich am Finanzmarkt zu investieren, gilt es für Privatanleger:innen ein paar einfache, aber wesentliche Grundsätze zu beachten: Investieren Sie langfristig, breit diversifiziert und passiv. Dazu gehört auch, dass möglichst wenig gehandelt wird und kurzfristige Marktschwankungen die Investitionsentscheidung nicht grundlegend beeinflussen sollten. Die empirische Finanzmarktforschung zeigt jedoch, dass Aktienmarktteilnehmer:innen dazu tendieren, über die Marktphasen unterschiedlich zu investieren. Sie investieren signifikant mehr in Marktaufschwung-Phasen (Booms) und weniger in Marktabschwung-Phasen (Rezessionen). Als Hauptgründe für dieses Verhalten werden in der Finanzmarktforschung auf der einen Seite sich verändernde Risikopräferenzen (anti-zyklische Risikoaversion) und auf der anderen Seite sich verändernde Erwartungen angebracht. Verändert sich tatsächlich die Risikoeinstellung von Investor:innen zwischen Marktphasen? Wie werden Erwartungen von Investor:innen zwischen Marktphasen gebildet? Und wie beeinflussen jene Änderungen die Investitionsentscheidung?
Veränderungen der Erwartungen über Marktphasen hinweg
In unserer Studie testen wir, ob Investor:innen Erwartungen grundlegend unterschiedlich über Marktphasen hinweg bilden, wie unterschiedliche Erwartungen zwischen Marktphasen die Investitionsentscheidungen beeinflussen können und ob dies auch mit Änderungen in der Risikoaversion einhergeht. Zur Analyse dieser Fragen nutzen wir Experimente. Experimente erlauben Wissenschaftler:innenn, das Entscheidungsverhalten von Individuen in einem kontrollierten Umfeld zu untersuchen und die zugrundeliegenden Treiber bzw. Entscheidungsmechanismen zu ergründen. Daraus können dann wiederum – sofern möglich – Implikationen für Maßnahmen abgeleitet werden, um beispielsweise bessere Entscheidungen zu begünstigen.
Festgestellte Investitionsmuster
Die Hauptergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Schauen wir uns zunächst die Ergebnisse der Investitionsaufgabe an. Wir finden, dass Teilnehmer:innen, die ausschließlich von negativen Informationen lernen – ähnlich einer Rezession – pessimistischer über die Erfolgswahrscheinlichkeit der ambiguitätsbehafteten Lotterie sind und signifikant weniger als Teilnehmer:innen im Boom-Treatment investieren (Experiment 1). Mit anderen Worten beeinflusst das Boom- bzw. Rezessionsumfeld, in dem die Teilnehmer:innen Erwartungen über eine Aktie gebildet haben, die Erwartungen und Investitionsentscheidung über eine unabhängige, daran angeschlossene Lotterie.
Das Boom- bzw. Rezessionsumfeld, in dem die Teilnehmer:innen Erwartungen über eine Aktie gebildet haben, beeinflusst die Erwartungen und Investitionsentscheidung über eine unabhängige, daran angeschlossene Lotterie.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen wir, wenn Teilnehmer:innen nicht nur von ausschließlich positiven oder negativen Informationen lernen, sondern im Boom-Treatment statistisch häufiger, aber nicht ausschließlich, positiv dargestellte Informationen sehen und im Rezessions-Treatment statistisch häufiger negativ dargestellte Informationen (Experiment 2). Unser Ergebnis hängt somit nicht von der Tatsache ab, dass Investoren nur von positiven bzw. nur von negativen Informationen lernen – was für eine tatsächliche Boom- bzw. Rezessions-Marktphase auch eher unrealistisch wäre. Warum finden wir derartige Investitionsmuster?
Unterschiedliche Lernregeln in Boom- und Rezessionsphasen
Um dies besser zu verstehen, blicken wir auf die Ergebnisse der Lernaufgabe. Obwohl die Lernaufgabe nicht zu unterschiedlichen Erwartungen zwischen den Treatments führen sollte, zeigt sich, dass die Teilnehmer:innen im Rezessions-Treatment signifikant pessimistischere Erwartungen als im Boom-Treatment bilden. Der induzierte Pessimismus überträgt sich dann auf die nachfolgende ambiguitätsbehaftete Lotterie. Doch worauf genau ist der Unterschied in den Erwartungen zurückzuführen?
Bei „schlechten“ negativ dargestellten Informationen zeigt sich, dass die Erwartungen stärker negativ adjustiert werden, als wenn die gleiche „schlechte“ Information positiv dargestellt wird.
Wir sehen, dass Teilnehmer:innen unterschiedliche Lernregeln in den Treatments verwenden. Von einer „guten“, jedoch negativ dargestellten Information im Rezessions-Treatment adjustieren Teilnehmer:innen die Erwartungen weniger stark, als wenn diese gleiche „gute“ Information positiv dargestellt ist. Bei „schlechten“ negativ dargestellten Informationen zeigt sich, dass die Erwartungen stärker negativ adjustiert werden, als wenn die gleiche „schlechte“ Information positiv dargestellt wird. Übertragen auf den Finanzmarkt und konsistent mit vielen anderen empirischen Studien, führt diese Asymmetrie in der Erwartungsbildung dazu, dass Teilnehmer:innen zu pessimistische Erwartungen in Rezessionen bilden und demnach weniger Geld investieren. Erfolgt dies systematisch von einer großen Anzahl an Investor:innen kann dies zusätzlichen negativen Druck auf Preise ausüben, was wiederum Rezessionen in ihrer Stärke und Dauer beeinflussen kann.
Implikationen der Manipulationsmöglichkeiten von Erwartungen
Abschließend möchten wir noch auf drei weitere interessante Ergebnisse unserer Studie eingehen:
- Kein Einfluss unterschiedlicher Risikoaversion
Erstens, wir können ausschließen, dass die Unterschiede in der Investition zwischen den Treatments durch Unterschiede in der Risikoaversion der Teilnehmer:innen erklärt werden. So haben wir einer zufälligen Menge an Teilnehmer:innen eine risikobehaftete Lotterie anstatt einer ambiguitätsbehafteten Lotterie im zweiten Abschnitt des Experiments angeboten. Das ist eine Lotterie, deren Erfolgs- bzw. Misserfolgswahrscheinlichkeit bekannt ist und somit keine Erwartungen über die Wahrscheinlichkeitsverteilung gebildet werden müssen (z.B. ein fairer Münzwurf mit 50%/50% Wahrscheinlichkeit für Kopf bzw. Zahl). Derartige Lotterien werden in der Entscheidungstheorie zur Messung der Risikoaversion genutzt. Wir finden keine signifikanten Unterschiede im Investment in der risikobehafteten Lotterie zwischen dem Boom- und Rezessions-Treatment.
- Kein Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen
Zweitens können wir ausschließen, dass die unterschiedlichen Treatments dazu führen, dass Teilnehmer:innen sich besser oder schlechter fühlen und daher mehr oder weniger investieren. In einem an das Experiment angeschlossenen sogenannten „Life Orientation Test“ finden wir keine signifikanten Unterschiede in den Antworten zwischen den Treatments.
- Übertragung von Erwartungen
Drittens zeigt sich, dass unsere einfache Lernaufgabe sogar dazu führt, dass Erwartungen über die Rendite von realen Marktindizes wie z.B. dem Dow Jones Industrial Average positiv bzw. negativ beeinflusst werden können. Teilnehmer:innen, die im Boom-Lernumfeld Erwartungen gebildet haben, sind signifikant optimistischer über die zukünftige Rendite des Dow Jones als Teilnehmer:innen aus dem Rezessions-Lernumfeld. Angesichts der Tatsache, dass wir in der Lage sind, die Renditeerwartungen über reale Marktindizes selbst in einer kurzlebigen Lernumgebung wie in unserem Experiment systematisch zu manipulieren, vermuten wir, dass der hier beschriebene Effekt im realen Finanzmarkt mit deutlich höheren Investitionsengagements noch größere Implikationen hat.
Diskutieren Sie mit — Welche Implikationen ergeben sich aus dem Phänomen der asymmetrischen Erwartungsbildung für den Finanzmarkt?
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