Unter der Federführung der Industrieländerorganisation OECD einigten sich 2021 mehr als 135 Staaten auf einen Kompromiss für die Einführung einer weltweiten Mindeststeuer für multinationale Konzerne, der jedem Staat volle Freiheit für die Gestaltung seiner Steuergesetze lässt, gleichzeitig aber sicherstellt, dass sämtliche Konzerngewinne, unabhängig davon, wo sie anfallen, mit mindestens 15% Steuern belastet sind. Ziel ist die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen.
Ein Jahrhundertprojekt im Praxistest
Das Konzept der globalen Mindeststeuer richtet sich an multinationale Konzerne mit einem weltweiten Umsatz von mehr als 750 Millionen €. Es sieht vor, dass für den Fall, dass Konzerngewinne in einem Land mit weniger als 15% besteuert werden, ein anderes Land – im Regelfall der Sitzstaat der obersten Muttergesellschaft – die entstandene Besteuerungslücke schließen darf, so dass für sämtliche Gewinne eine Mindestbesteuerung von 15% sichergestellt ist. Nachdem erste Unternehmen die „Jahrhundertreform“ simulierten, offenbarten sich zahlreiche rechtliche und prozessuale Herausforderungen.
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Die globale Mindeststeuer – eine Gratwanderung zwischen fairer Besteuerung und Überadministration
Debattenbeitrag | 7 Seiten
Internationale Rechnungslegung kein verlässlicher Indikator für Mindeststeuer
Die Berechnung der globalen Mindeststeuer gestaltet sich so aufwendig, weil es kein einheitliches “Weltsteuersystem“ gibt. Die einfache Formel „Steuersatz mal Gewinn“ scheitert daran, dass die Gewinnbegriffe verschiedener Länder teils erheblich voneinander abweichen. Vor diesem Hintergrund einigten sich die mehr als 135 beteiligten Staaten darauf, auf nationale Gewinnbegriffe bei der Ermittlung der globalen Mindeststeuer zu verzichten und statt dessen die Jahresabschlüsse heranzuziehen, die auf Basis international anerkannter Rechnungslegungsstandards erstellt werden (aber in der Praxis nur in Einzelfällen vorliegen dürften).
Auf den ersten Blick erscheint die Nutzung dieser Daten sehr vielversprechend: Es wird je Konzern ein einheitliches Rechnungslegungssystem verwendet und die Daten liegen bereits auf Länderebene heruntergebrochen vor. Auf den zweiten Blick führt der Umstand, dass die internationale Rechnungslegung als Informationsgrundlage für Kapitalgeber und nicht der Besteuerung dient, aus Sicht der Mindeststeuer dann aber doch zu einem großen Nachteil. Da sich die Zielsetzung einer Bilanzierung und Gewinnermittlung für Kapitalmarktzwecke teilweise erheblich von der für die Besteuerung unterscheidet, hat sich die OECD mit den beteiligten Ländern auf massive permanente Korrekturen des nach internationalen Rechnungslegungsstandard ermittelten Gewinn geeinigt. Neben permanenten Korrekturen müssen zahlreiche temporäre Anpassungen vorgenommen werden. Im Ergebnis sind die effektiven Steuersätze, die bisher nach einem internationalen Rechnungslegungsstandard ermittelt worden sind und derzeit den Unternehmen als Orientierung dienen, kein verlässlicher Indikator mehr, ob eine Mindeststeuer für ein bestimmtes Land zu zahlen ist oder nicht.
Dokumentationskosten könnten Steuerzahlungen übersteigen
Nicht die Mindeststeuer selbst, sondern die hohen Dokumentationskosten entpuppen sich als unerwartete Belastung.
Sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Seiten der Finanzverwaltung gingen viele davon aus, dass 15% Steuern in der Großzahl der Länder ohnehin gezahlt werden. Die Schlussfolgerung, die Einführung der Mindeststeuer würde sie daher kaum belasten, ist jedoch trügerisch, denn die Mindeststeuerregeln müssen in allen weltweiten Konzerneinheiten – oft Hunderten – gesetzeskonform angewendet werden. Nicht die Mindeststeuer selbst, sondern die hohen Dokumentationskosten entpuppen sich als unerwartete Belastung. Eine Belastung, die niemandem nützt, da sie für keinen Staat Steueraufkommen generiert, sondern nur weitere Kosten für die Überprüfung durch die Finanzverwaltung nach sich zieht.
Vereinfachungsvorschlag von Döllefeld, Englisch, Harst, Schanz und Siegel (2021)
Dieses Missverhältnis greift der auf Einladung der OECD entwickelte Vereinfachungsvorschlag von Döllefeld, Englisch, Harst, Schanz und Siegel (2021) auf. Er hat das Ziel, das Risiko von Ländern zu beurteilen, dass in ihnen ansässige Unternehmen eine Steuerbelastung unterhalb von 15% erzielen. Er wird in zwei Stufen durchgeführt, einem Ländertest und gegebenenfalls einem Unternehmenstest.
Sorgen ein hoher Steuersatz und die Regeln zur Gewinnberechnung in einem Land für Steuerzahlungen über 15%, hätte der landesspezifische Test zum Ergebnis, dass zukünftig alle Unternehmenseinheiten in diesem Land von der Berechnung der Mindeststeuer befreit wären. Sowohl für Unternehmen als auch Finanzverwaltungen entfielen weitere Bürokratiekosten. Nur in Niedrigsteuerländern müssten Unternehmenseinheiten weiterhin die vollständigen Berechnungen für die globale Mindeststeuer durchführen. Bei Vorliegen von wenigen Begünstigungen in einem Land würden diese durch den Ländertest als „red flags“ identifiziert.
In diesen „red flag“-Fällen käme es zur zweiten Stufe, dem Unternehmenstest. In einer stark vereinfachten Steuerberechnung würden Unternehmen diese „red flags“ in bereits vorhandene Steuerberechnungen einbeziehen und könnten so nachweisen, wieviel Steuern sie zahlen. Bei einem effektiven Steuersatz von mindestens 15% auf Basis dieser sehr einfachen Berechnung würde keine Mindeststeuer erhoben. Nur bei einem vereinfachten Steuersatz unterhalb von 15% müsste eine vollständige Mindeststeuerberechnung erfolgen.
Die stark vereinfachte Gewinnberechnung könnte nicht nur bei der Prüfung der 15% herangezogen werden. Da die Mindeststeuer erst ab einem Landesgewinn von 1 Mio. Euro erhoben werden, böte sich die Anwendung z.B. auch zum Nachweis an, dass diese Grenze unterschritten wird.
Die Idee für eine praktikable Mindeststeuer ist also da. Diese gilt es nun im politischen Prozess nicht nur auf Ebene der OECD, sondern auch für die Europäische Union, verbindlich umzusetzen.