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Forschungs-Impuls

Mentale Konten und Anlegerverhalten

| 5 Min. Lesezeit

Christoph Merkle

Department of Economics and Business Economics | Aarhus University BSS
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Jan Müller-Dethard

Consultant | zeb.rolfes.schierenbeck.associates gmbh
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Martin Weber

Seniorprofessor | Universität Mannheim
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Die meisten Anleger merken sich genau, zu welchem Preis sie eine Aktie er­worben haben und verfolgen die weitere Preisentwicklung relativ zu diesem Einstandspreis. Ein solches Verhalten lässt sich gut durch das Kon­zept des „mental accounting“ beschreiben: Anleger eröffnen ein mentales Konto für jedes Einzelinvestment und registrieren Gewinne und Verluste auf diesem Konto. Viele Online-Broker unterstützen diese Art der Buch­führung und zeigen die Rendite seit Kauf prominent an, oft in grün und rot für positive und negative Kursentwicklungen. Wäre die jährliche Ren­dite eine vernünftigere Kennzahl, die Sharpe Ratio, oder aggregierte Er­gebnisse auf Portfolioebene? Vielleicht, aber der Wunsch die gesamte Historie eines Investments im Blick zu behalten, scheint stark ausgeprägt.

Kurzimpuls

Wie verändern sich Risikoeinstellungen nach dem Erleben von Gewinnen oder Verlusten? Für den Fall von Verlusten zeigt Imas (2016), dass das anschließende Risikoverhalten davon abhängt, ob diese Verluste realisiert wurden oder nicht. Nach einem realisierten Verlust sinkt die Risikobereitschaft des Einzelnen, während sie nach einem nicht realisierten (Papier-)Verlust steigt. Dieser „Realisierungseffekt“ lässt sich auch für den Gewinnbereich feststellen. Unabhängig von einem vorherigen Gewinn oder Verlust ist die Risikobereitschaft höher, wenn Ergebnisse unrealisiert bleiben. Dieser Effekt ist nur dann zuverlässig zu beobachten ist, wenn das Geld physisch übertragen wird.

Wie wirken sich mentale Konten auf das Risikoverhalten aus? Die Erkennt­nisse hierzu wirken widersprüchlich. Einerseits gibt es das Beispiel des Casino-Besuchers, der Gewinne bereitwillig wieder aufs Spiel setzt, da er das Gefühl hat, nicht mit eigenem Geld, sondern mit Spielbankgeld („house money“) zu spielen. Andererseits wissen wir über Anleger, dass der Wunsch, Gewinne mitzunehmen und so das Risiko zu reduzieren, steigt, wenn sich ein Investment im Plus befindet. Dieses Verhalten lässt sich in einem einfachen Laborexperiment nachbilden. Die Teilnehmer er­halten 2 Euro und können einen beliebigen Teil davon auf den Ausgang eines Würfelwurfs setzen. Zeigt der Würfel die Glückszahl des Teil­nehmers, wird der Einsatz siebenfach zurückgezahlt. Uns interessiert das Ver­halten der Gewinner nachdem sie einen solchen Gewinn erzielt haben. Werden sie konservativer oder wage­mutiger?

Die zwischenzeitliche Auszahlung der erspielten Be­träge ändert dieses Verhalten fundamental.

Es kommt darauf an! Der entscheidende Faktor ist, ob sich weitere Runden des Experiments nahtlos anschließen oder ob ein Kassensturz gemacht wird und die Gewinne ausgezahlt werden. Im ersten Fall handelt es sich um einen Papiergewinn, wie er auch bei der Geldanlage typisch ist. Das finale Wort über das Ergebnis ist noch nicht gesprochen. Hier tendieren Ge­winner dazu, risikobereiter zu agieren, da ihnen die Papiergewinne als Puffer dienen. So lassen sich kleinere Verluste ertragen, ohne das Spiel im roten Bereich zu beenden. Ähnlich übrigens bei Verlusten: Solange noch die Möglichkeit besteht, ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen, ver­suchen Teilnehmer dies durch Steigerung des Risikos zu erreichen und den Break-Even zu erzielen. Die zwischenzeitliche Auszahlung der erspielten Be­träge ändert dieses Verhalten fundamental. Wird nun ein weiteres Spiel angeboten, zeigen sich Gewinner und Verlierer deutlich risikoaverser.

Die Theorie der mentalen Konten hilft diesen Sinneswandel zu verstehen. Mit Beginn des Experiments wird ein mentales Konto eröffnet, das sich im Ver­lauf der Würfelrunden in die Gewinn- oder Verlustzone bewegt. Diese Wahr­nehmung bewirkt die Risikoanpassung mit dem Ziel in der Gewinn­zone abzuschließen. Eine Unterbrechung des Spiels mit Aus­zahlung der bisherigen Beträge hat die Schließung des mentalen Kontos zur Folge. Ähnlich wie bei einem Anleger, der eine Aktie verkauft, werden Papier­gewinne realisiert und als endgültig verbucht. Eine nun folgende Würfel­runde ist nicht mehr Teil des ursprünglichen Spiels und wird separat davon be­trachtet. Deshalb steht dem Teilnehmer auch kein Polster aus Papier­gewinnen mehr zu Verfügung, um potenzielle Verluste abzufedern. Folglich sind Teilnehmer, die schon einen Gewinn verbucht haben, weniger geneigt, nochmal ihr Glück zu versuchen. Genauso gibt ein realisierter Gewinn in einem Investment ein gutes Gefühl, das man nicht so schnell wieder ver­spielen möchte. Auch nach realisierten Verlusten führt die Schließung des mentalen Kontos zu geringer Risikofreude. Teilnehmer können das Konto nicht mehr ausgleichen und sind wenig geneigt, diese unerfreuliche Er­fahrung zu wiederholen. Im Extremfall führt das dazu, dass sich In­vestoren nach Börsencrashs ganz vom Aktienmarkt zurückziehen. Wie Statistiken des Deutschen Aktieninstituts zeigen, brechen die Anleger­zahlen nach drastischen Marktrückgängen regelmäßig ein (Deutsches Aktieninstitut 2021).

Die Erkenntnis, dass sich das Risikoverhalten mit Schließung des men­talen Kontos umkehrt, wird mit dem Begriff Realisierungseffekt („reali­zation effect“) beschrieben (Imas 2016). Wir wollen wissen, wie uni­ver­sell dieser Effekt ist und zeigen in einer Reihe weiterer Experimente, dass die Schiefe der zugrundeliegenden Verteilung des Glücksspiels einen er­heb­lichen Einfluss auf den Realisierungseffekt hat. Die Schiefe be­schreibt in der Statistik die Art und Stärke der Asymmetrie einer Ver­teilung.

Höhere Risikoneigung bei unreali­sierten Ergebnissen.

Wenn die Teilnehmer, wie eingangs beschrieben, in ein Glücksspiel in­vestieren können, das mit einer geringen Chance einen großen Gewinn er­zielt und ansonsten einen kleinen Verlust (positive Schiefe), zeigt sich der be­schriebene Realisierungseffekt: Höhere Risikoneigung bei unreali­sierten Ergebnissen. Dieser Unterschied verschwindet, wenn das Glücks­spiel eine große Chance auf einen kleinen Gewinn bietet oder eine 50:50 Chance auf einen mittelgroßen Gewinn (negative Schiefe oder symme­trische Verteilung). In diesen Fällen gehen Teilnehmer weder nach einem Papier­gewinn noch nach einem Papierverlust ein erhöhtes Risiko ein und der Realisierungseffekt verschwindet.

Grund dafür ist nicht etwa ein unterschiedlicher hoher Erwartungswert des Glücksspiels in den verschiedenen Experimenten (der bleibt konstant). Vielmehr verfügen die Verteilungen ohne positive Schiefe nicht über die attraktiven Eigenschaften, die die Risikofreude erhöhen. So reicht ein kleiner Gewinn oft nicht aus, um ein Polster gegen mögliche Verluste zu bilden. Da Teilnehmer dazu tendieren, maximal ihren Papiergewinn zu setzen, sind ihre Möglichkeiten bei mickrigen Gewinnen stark ein­ge­schränkt. Im Verlustbereich rückt der Break-Even in weite Ferne, wenn die Höhe des potentiellen Gewinns den Einsatz nur geringfügig übersteigt.

Auf realen Finanzmärkten ist also nicht damit zu rechnen, dass der breit diversifizierte Fondsanleger nach moderaten Papiergewinnen plötzlich über­schwänglich wird. Das gibt die Renditeverteilung schlicht nicht her. Anders sieht es bei Anlegern in sogenannten Lottery Stocks aus. Diese oft günstigen und hoch volatilen Papiere zeichnen sich durch eine positive Schiefe aus. Sie sind bei Privatanlegern beliebt und animieren zu Erhöhung des Risikos, solange bestehende Gewinn- oder Verlustpositionen nicht realisiert sind.

Deutsches Aktieninstitut. 2021. Deutschland und die Aktie – Eine neue Liebesgeschichte? [online] www.dai.de/fileadmin/user_upload/210225_Aktionaerszahlen_2020.pdf [01.11.2021].

Imas, A. 2016. The Realization Effect: Risk-Taking after Realized versus Paper Losses. American Economic Review 106(8): 2086-2109.

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