{# File Endings #} {# #} {# #} {# #} {# Contact #} {# Social Media #}
Debattenbeitrag

Die aktuellen Lieferengpässe sind kein singuläres Ereignis

| 5 Min. Lesezeit

Ronald W. Bogaschewsky

Lehrstuhl für BWL und Industriebetriebslehre | Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Mehr

Konstantin Sauer

Finanzvorstand und stell. Vorstandsvorsitzender | ZF Group
Mehr

Die aktuellen Lieferengpässe kosten Milliarden und werden häufig einseitig auf Folgen der Corona-Pandemie zurückgeführt. Es wäre jedoch naiv, diese als singuläres Ereignis anzusehen und davon auszugehen, dass nach der Krise alles wieder bestens funktionieren würde. Ronald Bogaschewsky und Konstantin Sauer ordnen die aktuelle Lage aus den Perspektiven von Forschung und Praxis ein und adressieren alternative Strukturen der globalen Wertschöpfungsnetzwerke.

Kurzimpuls

Viele globale Supply Chains sehen sich aktuell und in Zukunft potenziell massiven Disruptionen ausgesetzt. Die Erhöhung der Resilienz sowie ein aus­gefeiltes Supply Chain-Risikomanagement sind strategische Kernaufgaben für Unternehmen. Nicht nur die aktuelle Corona-Pandemie und für die Zukunft zu erwartenden Pandemien werden zu Lieferengpässen führen, sondern insbesondere die Folgen der Klimaveränderung, aber auch die steigende Ressourcenknappheit und geopolitische Einflussnahmen und Krisen. Der Bewertung der diversen Risiken muss angesichts der hohen Dynamik der Risikofaktoren in Relation zu Kostenaspekten deutlich mehr Gewicht zukommen. Unternehmen müssen ihre Kompetenz in der Identifizierung, Analyse und Bewertung von Risiken sowie hinsichtlich der Ergreifung adäquater Maßnahmen weiterentwickeln. Organisatorisch bietet sich hierfür die Einrichtung von interdiszipliären Kompetenzzentren an.

 

 

Bogaschewsky: Die Diskussion um die Umstrukturierung der globalen Wertschöpfungsketten ist seit geraumer Zeit im Gange. Aus unternehmensstrategischer Perspektive sind vielerorts die gestiegenen Risiken zumindest wahrgenommen worden, während konkret umgesetzte, umfassendere Maßnahmen bisher nur selten sichtbar sind. Im Einkauf sind viele zwecks Erhöhung der Resilienz mit intensivierter Beschaffungsmarktforschung sowie der Identifizierung und Analyse alternativer Lieferquellen beschäftigt, wobei das Ziel oftmals in der Streuung der Risiken über unterschiedliche Geographien liegt. Dies scheint zum überwiegenden Teil eine Reaktion auf die aktuellen Lieferengpässe infolge der Pandemie oder auch kritischen Ereignissen wie die Havarie-bedingte Blockade des Suezkanals zu sein. Das Supply Chain-bezogene Risikomanagement läuft damit immer noch meistens der realen Entwicklung hinterher und reagiert, anstatt proaktiv zu agieren.

Die Zeiten, wo Unternehmen auf der Jagd nach den primär kostengünstigsten Standorten und Lieferquellen waren, dürften sich dem Ende nähern.

Ein strategisches Risikomanagement der Versorgungsketten unter Beachtung einer Vielzahl von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren wie klimabedingte Risiken, politische Entwicklungen, Flüchtlingsbewegungen, Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und letztlich globale Gesundheit (ein weit über die aktuelle Pandemie hinausgehendes Themenfeld) in Verbindung mit Armut und Hunger erscheint für zukunftssichere Wertschöpfungssysteme unverzichtbar. Die Zeiten, wo Unternehmen auf der Jagd nach den primär kostengünstigsten Standorten und Lieferquellen waren, dürften sich dem Ende nähern. Zudem bekommen CO2-Steuern innerhalb von Ländern und Wirtschaftsräumen zunehmendes Gewicht bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit alternativer Fertigungsstrukturen.

Unternehmen müssen verstärkt unterschiedliche globale Entwicklungsszenarien bei ihren strategischen Entscheidungen zum Supply Chain Design berücksichtigen, da sich viele Parameter fundamental und rasch verändern bzw. bereits verändert haben. Daraus dürften sich Vorteilhaftigkeiten gegenüber Entscheidungen aus der Vergangenheit verschieben. Eine dieser Veränderungen muss in der deutlichen Reduzierung von massiven Abhängigkeiten bei der Versorgung mit wesentlichen Grundstoffen und Produkten liegen. Elektronische Bauteile, Chips und Software sind hierfür ebenso Beispiele wie lebenswichtige pharmazeutische Produkte. Dies kann häufig nur mittels Aufbaus neuer Produktionsstätten und Lieferquellen in vergleichsweise „sicheren“ Geographien erreicht werden und erfordert strategisch weitsichtige Investitionen. Das Gelingen hängt u.a. von gemeinschaftlichen Anstrengungen ganzer Industrien sowie dem Aufsetzen geeigneter politischer Unterstützungsmaßnahmen ab. Viel Zeit bleibt hierfür nicht.

Sauer: Die derzeitige Verknappungssituation ist beispiellos. Aufgrund der geringen Verfügbarkeiten an Bauteilen, Materialien und Rohstoffen haben wir höhere Lagerbestände aufgebaut, um unsere Produktion jederzeit abzusichern. Diese außergewöhnliche Situation kann jedoch mittel- bis langfristig nicht ausschließlich mit einem Ruf nach mehr Lagerhaltung beantwortet werden, sondern stattdessen mit einer angepassten intelligenten Beschaffungsstrategie. Dieses bedeutet auch eine stärkere Regionalisierung der Lieferungen, unter anderem auch durch neue Ursprungsregeln in Handelsabkommen wie dem NAFTA-Nachfolgeabkommen USMCA.

Diese außergewöhnliche Situation kann jedoch mittel- bis langfristig nicht ausschließlich mit einem Ruf nach mehr Lagerhaltung beantwortet werden, sondern stattdessen mit einer angepassten intelligenten Beschaffungsstrategie.

Wir setzen bereits heute verstärkt auf lokale Lieferketten. Das heißt, unsere Zulieferbetriebe befinden sich in jenen Ländern, in denen wir für unsere Kunden produzieren. Engpasssituationen begegnen wir jedoch nicht nur durch eine stärkere Regionalisierung, sondern auch durch die Suche nach alternativen Bezugsquellen in anderen Produktionsländern. So durchforsten beispielsweise unsere ZF-Gusslieferanten, die dringend auf die Versorgung mit Magnesium angewiesen sind, die globalen Märkte nach freien Kapazitäten. Aufgrund des hohen chinesischen Marktanteils von über 85 Prozent ist die Flexibilität, die Mindermengen aus dem chinesischen Markt komplett zu kompensieren, jedoch eingeschränkt. Um von nationalen Krisen und internationalen Handelseinflüssen unabhängig zu sein, haben wir seit langem ein engmaschiges Netz an Produktions- und Logistikstrukturen geknüpft, um auch kurzfristig auf alternative Liefermöglichkeiten, Transport- und Beschaffungswege zurückgreifen zu können.

Die Herausforderungen der Corona-Pandemie haben unsere ZF-Strategie grundsätzlich bestätigt. Wir werden zukünftig noch intensiver daran arbeiten, alternative Lieferanten vorzuhalten. Auch produktseitig haben wir Möglichkeiten gegenzusteuern. So sind wir in der Lage, alternative Prozessoren zu verwenden – vorausgesetzt, sie sind verfügbar und haben exakt die geforderten Maße. In der Regel handelt es sich dabei um Chips mit etwas kleinerer Speicherkapazität und weniger Rechenleistung. Wenn der Kunde die Zahl der gewünschten Softwarepakete reduziert, kann er somit mit der schlankeren Alternative bedient werden. Damit konnten wir bereits an einigen neuralgischen Stellen Lieferketten stabil halten. Es fordert allerdings die Entwickler heraus, weil sie umdenken müssen. Gemeinsam mit unseren Kunden definieren wir, ob alle Softwarepakete gebraucht werden. Der Aufwand ist nicht unerheblich, lohnt sich aber, denn wir können so weiter für unsere Kunden produzieren. Auch die Vernetzung mit Partnern aus benachbarten Branchen über ganze Lieferketten hinweg ist ein wichtiger Ansatz. So gehört ZF zu den Gründungsunternehmen des Partner-Netzwerks Catena-X, der Allianz für sicheren und unternehmensübergreifenden Datenaustausch in der Fahrzeugindustrie. Einheitliche Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette ermöglichen uns zum Beispiel, Bauteile und Software zurückzuverfolgen – angefangen vom Rohstofflieferanten, über Teile-, Komponenten-, System- und Modullieferanten bis hin zum Fahrzeughersteller. Auch Händlernetzwerke, Logistikanbieter sowie Verwerter sind hier einbezogen. Das hilft uns beispielsweise dabei, die Versorgung mit wichtigen Bauteilen sicherzustellen. Auch können wir künftig Lieferketten transparenter gestalten und somit anspruchsvolle Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Das gilt genauso für Sozial- oder Menschenrechtsstandards wie auch für die Reduktion des CO2-Fußabdrucks in Produktion und Logistik.

Um es abschließend auf den Punkt zu bringen: Fahrzeughersteller und Tier-1-Zulieferer müssen ihre traditionellen Beschaffungs- und Entwicklungstools anpassen und neue Fähigkeiten aufbauen. Sie müssen ihre Position in der Wertschöpfungskette bei Halbleiter- und Elektronikhardware neu definieren, um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Und es gilt, Partnerschaften in den Bereichen Elektronik, Halbleiter und Software entlang der gesamten Supply Chain auf- und auszubauen. All dies sind mögliche Ansatzpunkte, um aus der Misere rund um die grassierende Versorgungskrise zu lernen.

Mehr zum Thema

Ursachenanalyse, weitere und zukünftige Risiken, mögliche Maßnahmen — Statements aus Forschung und Praxis

Statements | 7 Seiten
Zur Heftausgabe

Diskutieren Sie mit — Wie müssen die globalen Wertschöpfungsketten angesichts der fundamentalen Änderungen vieler Parameter umstrukturiert werden? Wovon hängt das Gelingen ab?

Kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse ist erforderlich, um einen Kommentar abgeben zu können. Nur Ihr Name wird für andere sichtbar sein, Ihre E-Mail-Adresse wird NICHT veröffentlicht. Bitte beachten Sie, dass der Kommentarbereich moderiert wird - dies ist notwendig, um Spammer und Netznutzer fernzuhalten.