Karrierenetzwerke bieten kostenpflichtige Premiummitgliedschaften, damit Nutzer:innen deutlich effektiver netzwerken können. Doch erfüllen Karrierenetzwerke tatsächlich dieses Versprechen?
Kurzimpuls
Als Premiummitglied in Karrierenetzwerken erhalten Nutzer:innen zusätzliche Funktionen. Insbesondere der Aufbau eines großen Netzwerkes von hilfreichen Kontakten ist eines der häufig beworbenen Hauptziele. Mittels eines Feldexperiments, bei dem Premiummitgliedschaften unter 215 Freelancern verlost wurden, und der Analyse von umfangreichen Individualdaten zur Plattformnutzung, beleuchtet eine aktuelle Studie in MIS Quarterly die kausalen Auswirkungen der Premiummitgliedschaft auf die Bildung von sozialem Kapital. Die Ergebnisse zeigen, dass aktive Nutzer:innen mit einem Bedürfnis zu netzwerken, überproportional von der Premiummitgliedschaft profitieren. Nutzer:innen ohne dieses Bedürfnis, die auf passive Funktionalitäten (wie das Hervorheben ihres Nutzerprofils) hoffen, erweiterten ihr Netzwerk trotz Premiummitgliedschaft nur ähnlich stark wie bei Basismitgliedschaft.
Viele soziale Netzwerke folgen dem „Freemium“-Geschäftsmodell: Über eine Basismitgliedschaft kann eine große Nutzerschaft gewonnen und gehalten werden. Die kostenpflichtige Premiummitgliedschaft schaltet darüber hinaus zusätzliche Funktionen frei und verspricht den zahlenden Nutzer:innen einen deutlichen Mehrwert. Karrierenetzwerke, wie LinkedIn, Xing oder Viadeo, bewerben diese Premiummitgliedschaften häufig mit Aussagen wie „Vergrößere dein Netzwerk“ oder „Premiummitglieder erhalten mehr Profilbesuche“. In solchen Karrierenetzwerken ist der Wert dieses „sozialen Kapitals“ vorwiegend durch die Möglichkeiten innerhalb des eigenen Netzwerkes gegeben, um beispielsweise neue Stellen zu finden, neue Projekte zu akquirieren oder auch neue Mitarbeiter:innen für das eigene Unternehmen zu gewinnen.
In einem Beitrag in MIS Quarterly (Weiler et al. 2021) erforschen die Autoren in solchen Karrierenetzwerken die kausalen Auswirkungen und Mechanismen der Premiummitgliedschaft auf den Aufbau des sozialen Kapitals. Die Analyse ist aufgrund von Selbstselektion herausfordernd, denn nur diejenigen Nutzer:innen werden eine Premiummitgliedschaft abschließen, die sich einen Nutzen daraus erhoffen oder auf den Aufbau von sozialem Kapital angewiesen sind. Die Autoren gehen diese Herausforderung auf zweifache Weise an: In einem Feldexperiment verlosen sie innerhalb eines Pools von Freelancern 75 Premiummitgliedschaften und vergleichen, ob die zufällig ausgewählten Gewinner:innen der Premiummitgliedschaft soziales Kapital deutlich stärker im Vergleich zu Nicht-Gewinnern aufbauen können. Im Fokus ihrer Studie stehen Freelancer:innen, da diese beruflich auf ihr Netzwerk angewiesen sind. Um den zugrundeliegenden Mechanismus zu erforschen, also ob eher aktive oder passive Premiumfunktionen für den Aufbau verantwortlich sind, setzen die Autoren Individualnutzungsdaten von mehr als 50.000 Freelancern gepaart mit statistischen Methoden wie Instrumentalvariablen und einem vielschichtigen Propensity Score Matching ein, um eine umfassende Perspektive auf die Wirkungsweise zu erhalten.
Wesentliche Ergebnisse
Die Ergebnisse des Feldexperiments zeigen, dass die reine Vergabe der Premiummitgliedschaften unwirksam ist, um das soziale Kapital eines Nutzers überproportional zu steigern. Jedoch zeigt sich, dass Nutzer:innen, die in einer Befragung angegeben hatten, besonders stark am Netzwerken interessiert zu sein, von der Premiummitgliedschaft profitieren. Aus der signifikanten Interaktion zwischen Premiummitgliedschaft und Netzwerkbedürfnis leiten die Autoren ab, dass besonders Nutzer:innen von den Premiumfunktionalitäten profitieren, wenn sie eine intrinsische Motivation zum strategischen Netzwerken haben. Bei diesen Nutzern „entfesselt“ die Premiummitgliedschaft das Netzwerkwachstum. Außerdem ist dies ein Indiz dafür, dass sich die Premiummitgliedschaften nicht ohne das Zutun des Nutzers positiv auf dessen Netzwerk auswirken.
Aus der signifikanten Interaktion zwischen Premiummitgliedschaft und Netzwerkbedürfnis leiten die Autoren ab, dass besonders Nutzer:innen von den Premiumfunktionalitäten profitieren, wenn sie eine intrinsische Motivation zum strategischen Netzwerken haben.
Um den zugrundeliegenden Mechanismus weiter zu erforschen, betrachten die Autoren die anonymisierten, monatlichen Nutzungsdaten von einem großen Sample an Freelancern vor und nach Abschluss einer Premiummitgliedschaft. Die Änderung des Verhaltens der Premiumnutzer:innen kann von „aktiv“ genutzten Zusatzfunktionen gestützt werden. Etwa kann ein Premiumnutzer auf erweiterte Suchfunktionen zugreifen. Während ein allgemeiner Anstieg der Plattformnutzung bei Premiumnutzern bereits bekannt ist (Bapna, Ramaprasad und Umyarov 2018), können die aktiv zu nutzenden Premiumfunktionen dieses Verhalten noch weiter beflügeln. Gleichzeitig betrachten die Autoren die Änderung des Verhaltens in Bezug auf den Nutzer, welches unter den Premiumnutzern von „passiv“ genutzten Premiumfunktionen gestützt wird. Beispielsweise sind Premiumnutzer:innen durch die prominente Platzierung eines farbigen Abzeichens als „Premiumnutzer:innen“ gut erkennbar, unabhängig von ihrer eigenen Aktivität, was theoretisch ebenfalls zu einem Ausbau des Netzwerkes führen könnte (Hinz, Spann und Hann 2015). In der Analyse des komplementären Datensatzes der mehr als 50.000 Freelancer zeigt sich allerdings, dass vor allem die eigene Aktivität der Premiumnutzer:innen unmittelbar nach dem Kauf steigt und dann graduell abfällt. Auf der passiven Seite ändert sich das Verhalten des Umfeldes in Bezug auf das Profil hingegen nur in geringerem Ausmaß. Die Netzwerkerweiterung fällt eher mit der kurzfristigen Aktivitätssteigerung zeitlich zusammen.
Durch den großen und sehr reichhaltigen Datensatz unterschiedlichster Nutzerattribute ist es möglich, eine relevantere Vergleichsgruppe zu selektieren und so den Effekt der Premiummitgliedschaft besser zu untersuchen. Wie diese Folgeanalyse zeigt, ist es besonders das aktive Verhalten während der Premiummitgliedschaft, welches mit gesteigertem Netzwerkaufbau einhergeht. Insbesondere das Verhalten, aktiv Nachrichten zu versenden, was unter Premiumnutzern sogar über das eigene Netzwerk hinaus möglich ist, zeigte sich als erfolgreiche Strategie, um als Premiumnutzer:in das eigene Netzwerk zu erweitern.
Implikationen für Unternehmen und Nutzer:innen
Eines der Hauptziele der Karrierenetzwerke ist es, eine aktive Plattform zu schaffen. Je aktiver das Netzwerk und je mehr Nutzer:innen registriert sind, desto nützlicher ist die Mitgliedschaft und desto attraktiver wird die Plattform für neue Nutzer:innen (Hinz, Otter und Skiera 2020).
Wer ohnehin nur ein schwaches Bedürfnis hat, sein Netzwerk auszubauen, wird durch eine Gratispremiummitgliedschaft kaum sein Verhalten ändern.
Daher ist es im Interesse der Karrierenetzwerke, die Nutzerschaft zu aktivieren und die Vernetzung unter den Mitgliedern anzuregen. Die Ergebnisse der Studie zeigen hierzu, dass „schlafende“ Nutzer:innen im Netzwerk mit einer Premiummitgliedschaft nur schwer „geweckt“ werden können. Wer ohnehin nur ein schwaches Bedürfnis hat, sein Netzwerk auszubauen, wird durch eine Gratispremiummitgliedschaft kaum sein Verhalten ändern.
Umgekehrt profitieren besonders Nutzer:innen mit hohem Bedürfnis zu netzwerken von der Premiummitgliedschaft. Wie die Studie zeigt, äußert sich dieses Bedürfnis auch im vorigen Verhalten – insbesondere in der Anzahl der zuvor versendeten Kontaktanfragen. Daher empfehlen die Autoren Unternehmen, eher bereits aktiven Nutzern mit Preisnachlässen und Rabatten Belohnungsanreize zu bieten und so weitere „Power User“ zu schaffen, welche den Ausbau des gesamten Netzwerkes voranbringen.
Die in dem Beitrag eingesetzten Methoden helfen zudem Nutzer:innen von Karrierenetzwerken, besser zu verstehen, welche konkreten Premiumfunktionalitäten welchen Mehrwert bieten. So erweist sich beispielsweise besonders die Messengerfunktion bzw. die Premiummöglichkeit, Nutzer:innen außerhalb des eigenen Netzwerks anzuschreiben, als wertstiftend. Eine Implikation daraus ist, dass Karrierenetzwerke hinterfragen sollten, ob diese Messengerfunktion wirklich unbegrenzt allen Premiummitgliedern zur Verfügung gestellt werden sollte, oder ob es sinnvoller wäre, den Preis für die Premiummitgliedschaft nach der Intensität zu differenzieren, mit der Nutzer:innen diese Funktionalität einsetzen. Insbesondere mengenbezogene Preismechanismen wie “Bucket Pricing” (Schlereth und Skiera 2012) würden sich hier eignen.
Für die Nutzer:innen der Karrierenetzwerke vermittelt der Forschungsbeitrag außerdem ein besseres Bild darüber, wie sich die Premiummitgliedschaft auswirkt. Die Mitgliedschaft lohnt sich vor allem für Nutzer:innen, die ohnehin das Netzwerk bereits aktiv nutzen, um sich zu vernetzen. Eine Erwartung, dass sich die Premiummitgliedschaft bereits passiv auf ihr Netzwerk auswirkt, sollten die Nutzer:innen hingegen nicht haben.
Quellen
Bapna, R., J. Ramaprasad, A. Umyarov. 2018. Monetizing freemium communities: Does paying for premium increase social engagement? Management Information Systems Quarterly 42(3): 719-735.
Hinz, O., M. Spann, I.-H. Hann. 2015. Research note—can’t buy me love… or can I? Social capital attainment through conspicuous consumption in virtual environments. Information Systems Research 26(4): 859-870.
Hinz, O., T. Otter, B. Skiera. 2020. Estimating network effects in two-sided markets. Journal of Management Information Systems 37(1): 12-38.
Schlereth, C., B. Skiera. 2012. Measurement of consumer preferences for bucket pricing plans with different service attributes. International Journal of Research in Marketing 29(2): 167-180.
Weiler, M. et al. 2021. Social Capital Accumulation Through Social Media Networks: Evidence from a Randomized Field Experiment and Individual-Level Panel Data. Management Information Systems Quarterly forthcoming.
Haben Sie eine Frage oder Anregungen? — Teilen Sie Ihre Gedanken zu diesem Forschungs-Impuls!
Kommentieren