Neuartige Brokerage-Angebote und Features von Trading-Apps haben das Potential, Anlegerverhalten nachhaltig zu beeinflussen. Arnold, Pelster und Subrahmanyam (2022) zeigen, dass Push-Notifikationen sowohl die Auswahl von Investitionsmöglichkeiten als auch die Risikobereitschaft von Investoren prägen. Somit müssen neuartige Leistungsmerkmale stets mit Vorsicht verwendet werden, eine sorgfältige Analyse ihrer Auswirkungen ist unerlässlich.
Kurzimpuls
Der Handel mit Aktien und anderen Wertpapieren über Trading-Apps oder Online-Plattformen wird gerade bei jungen Erwachsenen oder Personen mit begrenzten finanziellen Mitteln und Anlageerfahrungen immer beliebter. Mehrere Faktoren treiben den Erfolg dieser Online-Dienste an: Anleger und Anlegerinnen können auf diesen benutzerfreundlichen Apps, die oftmals wie ein Glücksspiel präsentiert werden, schon mit kleinen Beträgen in verschiedene Märkte investieren. Zudem ist der digitale Wertschriften-Handel relativ kostengünstig und rund um die Uhr abwickelbar.
Anhand der Daten von über 240.000 Kunden und Kundinnen eines Online-Brokers über einen Zeitraum von rund zwei Jahren belegen Marc Arnold (Universität St. Gallen), Matthias Pelster (Universität Paderborn) und Marti Subrahmanyam (New York University), dass die digitale Kommunikation der Broker mit den Investierenden über die Trading-Apps einen signifikanten Einfluss auf deren Trading-Verhalten hat. Ein intuitiv offensichtlicher Effekt ist gemäß der Studie, dass Nutzende um ein Vielfaches häufiger handeln, nachdem sie eine Push-Meldung des Brokers erhalten haben. Weniger offensichtlich, aber nicht minder relevant ist der zweite wichtige Befund: Die Studie zeigt, dass die Investierenden nach Erhalt individualisierter Nachrichten oder Pop-Ups ein signifikant höheres Risiko eingehen.
Erklärt werden die Befunde über die Theorie der begrenzten Aufmerksamkeit: Die Push-Nachrichten dienen als Aufmerksamkeitsauslöser, die nicht nur dazu führen, dass eine Investitionsmöglichkeit in die individuelle Auswahlmenge möglicher Investments gelangt, sondern auch über affektive Prozesse die Risikobereitschaft erhöhen.
Unter dem Begriff der „Retail Renaissance“ versteht man die Beobachtung, dass sich der Wertpapierhandel für Kleinanlegerinnen und Kleinanleger im Umbruch befindet. Insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie erlebt die sogenannte „Demokratisierung“ des Aktienhandels einen wahren Boom. Allein im März 2020 nahmen die Kontoeröffnungen bei prominenten Anbietern um bis zu fünfmal mehr zu als in der Vergleichsperiode des Vorjahres.
Handel über Trading-Apps und Online-Plattformen
Zahlreiche Anbieter bieten Anlegerinnen und Anlegern einen direkten und einfachen Zugang zu den Finanzmärkten. Trading-Apps ermöglichen Investorinnen und Investoren, zu jeder Tages- und Nachtzeit und an nahezu jedem Ort der Welt zu handeln und schon mit kleinen Beträgen in verschiedene Märkte zu investieren. Darüber hinaus sind die Apps besonders benutzerfreundlich, lassen den Wertpapierhandel einfach erscheinen und bringen zahlreiche neue Features und digitale Kommunikationsmöglichkeiten in den Aktienhandel. Beispielsweise werden Push-Nachrichten dazu genutzt, Anleger über signifikante Preisbewegungen auf dem Markt oder aber über bevorstehende Unternehmensevents, wie beispielsweise Gewinnmitteilungen, zu informieren.
Auswirkungen der neuen Features auf das Anlegerverhalten
Wie wirken sich solche neuen Features auf das Anlegerverhalten und das Risikoverhalten aus? Die Studie von Arnold, Pelster und Subrahmanyam (2022) untersucht insbesondere das Verhalten von Investoren, nachdem sie eine Push-Nachricht erhalten haben. Reagieren Investoren, indem sie konservativer handeln, weil z.B. größere Preisbewegungen oder ein bevorstehendes Unternehmensereignis für eine größere Unsicherheit sprechen? Oder reagieren Investoren, indem sie aggressiver handeln und mehr Risiken eingehen?
Die Ergebnisse der Studie belegen, dass die von Online-Brokern versendeten Push-Nachrichten tatsächlich einen signifikanten Einfluss auf das Trading-Verhalten der Investoren haben. Investoren weisen nach Erhalt einer Push-Nachricht über eine bestimmte Aktie eine deutlich erhöhte Handelsintensität in dieser Aktie auf. Ebenfalls wird gezeigt, dass Investoren mehr Recherche zur entsprechenden Aktie betreiben.
Push-Nachrichten als „Aufmerksamkeitsauslöser“
Die Theorie der begrenzten Aufmerksamkeit hilft, dieses Ergebnis zu verstehen. Investoren haben nicht die Ressourcen, Tausende von Investitionsmöglichkeiten zu analysieren. Daher investieren Anleger nur in solche Investitionsmöglichkeiten, die aufgrund von externen Reizen in eine Auswahlmenge aufgenommen worden sind.
Daher investieren Anleger nur in solche Investitionsmöglichkeiten, die aufgrund von externen Reizen in eine Auswahlmenge aufgenommen worden sind.
Unsere heutige digitale Umgebung überflutet Investoren mit zahlreichen Aufmerksamkeitsreizen aus vielfältigen Quellen wie Marketing-Kampagnen, E-Mails oder Social-Media-Nachrichten. Außergewöhnliche Renditen oder ein ungewöhnliches Handelsvolumen können als Aufmerksamkeitsauslöser dienen. Trading-Apps fügen Push-Benachrichtigungen zur Liste der möglichen Aufmerksamkeitsauslöser hinzu.
Somit ist die Beobachtung, dass Investoren um ein Vielfaches häufiger handeln, wenn sie eine Push-Notifikation vom Broker erhalten, intuitiv nachvollziehbar. Vielleicht weniger offensichtlich, aber nicht minder relevant ist das zweite wichtige Ergebnis der Studie: Investoren tendieren nach Erhalt einer Push-Nachricht ebenfalls zu signifikant höheren Anlagerisiken, indem sie ihre Investitionen stärker hebeln.
Erhöhte Risikobereitschaft durch „Aufmerksamkeitsreize“
Der Handel mit Hebeln hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen und ist gerade bei Kleinanlegern besonders beliebt. Ein Hebel von fünf auf eine bestimmte Aktienposition bedeutet beispielsweise, dass eine Wertveränderung der Aktie um ein Prozent zu einer Wertveränderung dieser Position von fünf Prozent führt. Durch den Handel mit Hebeln werden sehr hohe positive, aber auch sehr niedrige negative Renditen wahrscheinlicher.
Investoren tendieren nach Erhalt einer Push-Nachricht zu signifikant höheren Anlagerisiken.
Die Erklärung des Zusammenhangs zwischen Aufmerksamkeitsauslösern und finanzieller Risikobereitschaft basiert auf der psychologischen Literatur zur individuellen Risikobereitschaft. Aufmerksamkeitsauslöser können affektive Prozesse auslösen, die das menschliche Verhalten schnell, spontan und automatisch beeinflussen. Derartige affektive Reaktionen bieten Entscheidenden eine schnelle, aber grobe Bewertung der Verhaltensoptionen, mit denen sie konfrontiert sind, und ermöglichen es, rasche Entscheidungen zu treffen. Aus diversen alltäglichen Situationen ist bekannt, dass Aufmerksamkeitsreize die Risikobereitschaft erhöhen. Auf die Finanzmärkte übertragen heißt dies, dass Push-Nachrichten gerade Kleinanleger zu riskanteren Transaktionen verleiten können.
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